Podiumsgespräch im Aka-Vortragsraum: Was hat Corona mit uns gemacht?

Die Corona-Pandemie hat unseren Alltag in einem nie vorstellbaren Ausmaß verändert. Bei der von Heidrun Bleeck und Sigrid Geisen moderierten Podiumsdiskussion schilderten drei Experten im Aka-Vortragsraum die Folgen aus ihrer beruflichen Perspektive: die Leiterin der Seniorenwohnanlage Johannesviertel der Arbeiterwohlfahrt in der Kasinostraße Christine Köhler-Richter, der Arzt Dr. Predrag Matic, Leiter des medizinischen Versorgungszentrums in Kranichstein, und die Diplom-Psychologin und langjährige Kursleiterin der Aka, Hildegard Schwebel.

An Corona sind in der Bundesrepublik 125.000 Menschen gestorben, die Wirtschaftsleistungen gingen zurück, Lernrückstände von Schülern aus sozial schwachen Familien vergrößerten sich, psychosoziale Belastungen nahmen zu, und über eine Million Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Andererseits trieb Corona die Digitalisierung voran und sorgte für den Durchbruch der Arbeit im Homeoffice. Die erzwungene Abschottung förderte kreative Lösungen, es wurde mehr gelesen, gewandert, und auch der Garten profitierte von dem Überschuss an Freizeit.

Die Anfangszeit habe sie sehr viel Kraft und Nerven gekostet, sagte Christine Köhler-Richter, die für die Gesundheit von 130 Bewohnerinnen und Bewohnern verantwortlich ist. Es gab viel zu wenig Schutzmaterial - Kittel, Masken, Desinfektionsmittel –, und die Vorschriften für das Schutzkonzept des Hauses änderten sich laufend. Trotz aller vorbeugenden Maßnahmen seien Mitarbeiter infiziert worden, was zu großer Personalnot führte. Sie habe seit zwei Jahren kein Privatleben mehr.

Mit Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung führt der Kardiologe Dr. Predrag Matic eine Schwerpunktpraxis mit 65 Mitarbeitenden in Kranichstein und anderen Orten. Er kritisierte Berufskollegen, die schon beim ersten Shutdown dicht gemacht hatten. „Bei uns fanden sie Unterschlupf“. In einem Bus vor seiner Praxis in Kranichstein behandelte er Patienten mit Symptomen und führte später auch Impfungen durch. Er hatte mit aggressiven Impfgegnern und undankbaren Menschen zu tun, die den hohen Arbeitseinsatz seines Teams als selbstverständlich betrachteten.

Was macht uns eigentlich krank? Warum kommen manche gut durch eine Krise und andere nicht? Hildegard Schwebel widmete sich dem Thema Resilienz. Voraussetzung für die psychische Widerstandskraft seien Kommunikationsfähigkeit, eine Problemlösungsstrategie, Kontrollüberzeugung und „befruchtende Langeweile“. Älteren Menschen, die die Nachkriegszeit erlebt hätten, gelänge es besser, mit schwierigen Situationen umzugehen. „Sie können zurückblicken und wissen: Das ist temporär“.

Sigrid Geisen fragte die Experten nach ihren Erfahrungen mit der coronabedingten Isolation der Jungen und Alten, den abrupt abgeschnittenen sozialen Kontakten. Christine Köhler-Richter sagte, dass die ausbleibenden Besuche von Freunden und Verwandten vor allem die Dementen stark belastet hätten. Der Mangel an Abwechslung und Kommunikation musste von den Betreuungskräften aufgefangen werden. Bei Sterbeprozessen habe sie Angehörige zugelassen, weil sie aus ihrem privaten Umfeld wisse, wie wichtig das für alle sei. In der Coronazeit habe sie viel Solidarität erlebt. Jede(r) ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe sich eingebracht, lobte die Leiterin der Seniorenwohnanlage den Zusammenhalt im Haus.

Erstaunlich ist, dass es offenbar keine großen Nachteile gab, als die planbaren Operationen im Krankenhaus verschoben wurden. Dr. Matic meint, dies habe durchaus auch im Interesse der Verwaltung gelegen, da die Krankenkasse für jedes leere (auf Vorrat frei gehaltene) Bett 580 Euro pro Tag zahlte. Er beklagte, dass das Anspruchsdenken der deutschen Bevölkerung immer stärker werde. Die ärztliche Überversorgung in der Bundesrepublik müsse auf die Prüfwaage gestellt werden, es werde in Deutschland zu viel operiert.

Heidrun Bleeck wollte wissen, ob sich durch die Pandemie das Bild des alten Menschen – vom rüstigen Kreuzfahrtschiffreisenden zum Hilfebedürftigen, für den eingekauft werden muss – gewandelt hat. Das sehen die drei Experten nicht so. Vielmehr hätten sich durch die Hilfsangebote der Jüngeren erfreuliche Kontakte und Annäherungen zu älteren Nachbarn ergeben. Man müsse Hilfe auch annehmen können, so Hildegard Schwebel. Wenn sie nicht nötig sei, könne man ja freundlich dankend ablehnen.

Text und Foto: Petra Neumann-Prystaj