Der Abend mit Walter Renneisen bot wirklich das Versprochene: Abschied vom alltäglichen, gewohnten Denken. Ein für seine 86 Lebensjahre fitter und gedankenschneller Akteur riss sein Publikum mit in die Nonsenswelt der Literatur. Sinnlose Silben, Wortspiele, Schüttelreime und populäre Zitate Schlag auf Schlag einmal in einen verspielten Rahmen gestellt, das erfreute die Zuhörer im vollbesetzten halbNeun Theater.

Auch bekannte Reime, Volks- und Kinderlieder („Affenbande/Kokosnuss“) und zahlreiche Limericks brauchten keine Erläuterungen; Renneisen fand den passenden Ton, um die Erheiterung im Saal ansteigen zu lassen. Joachim Ringelnatz und Christian Morgenstern boten zunächst die Vorlagen. Eine davon, die sieben Variationen von „Wenn ich ein Vöglein wär‘ …“ bildete einen ersten Höhepunkt.

Bei den Versen mit militärischem oder kriegerischem Inhalt hätte sich der kritische Besucher vielleicht einen Atemzug lang Innehalten gewünscht, aber dieses Programm sollte ja jedwede Nachdenklichkeit verscheuchen. Wegweisend ist das Gedicht von Morgenstern mit den zwei Turmuhren, die hintereinander statt widereinander schlagen; warum können das die (allzu kriegsbereiten) Völker nicht?

Mit Gedichten von Ernst Jandl beginnt die ernste Abteilung, so Renneisen und zitiert Texte, die oft nur aus Konsonanten bestehen. Trotz mimischer und sprachtechnischer Hilfen ist konzentriertes Mitdenken erforderlich, um z. B. den „Schützengraben“ und vieles andere zu erkennen. Bei der juristisch verballhornten Definition von der Beziehung von „Wertbeutel“ und „Wertsack“ (Allgemeine Dienstanweisung V-2) fühlte sich der Reporter an den Beginn seiner Berufszeit erinnert, wo er eine Ausbildung zum Postbeamten absolvierte. Wortspiele und Schüttelreime folgten. Wie alte Bekannte aus der Zeit von Heinz Erhardt wirkten die schelmisch vorgetragenen Verse und Witze des Künstlers. Es war eine Freude mitzuerleben, wie Renneisen die völlige Sinnlosigkeit von sehr populären Schlagertexten freilegte: „Marmor, Stein und Eisen“,“ Balla-balla“ oder „Atemlos durch die Nacht“ dienten als wirkungsvolle Beispiele. Auch Elvis- und BEATLES-Texte unterzog Renneisen einer humorvollen Untersuchung, wobei er - nebenbei - sein musikalisches Talent andeutete. Auf dem weiten Feld der Politiker-Sprachblüten konnte sich der Künstler anschließend glänzend entfalten.

Extrem sachlich und ruhig zeigte sich Renneisen bei einer Zugabe für seinen kürzlich verstorbenen Freund und Kollegen Hans Scheibner („Schmidtchen Schleicher“ und „Das macht doch nix, das merkt ja keiner“), dem er würdigend und feinfühlig gedachte.

Walter Schwebel