Patricia Gropp über Komponisten, die „Arienkleider“ für Primadonnen und Tenöre entwarfen
In früheren Jahrhunderten wurden Arien individuell für Opernstars komponiert, damit diese das ganze Repertoire ihres Können vorführen konnten. Die Komponisten orientierten sich an der Singgattung, dem Umfang der Stimme, ihrer Stärke und der Ausdauer der Interpretinnen und Interpreten.
Mit dem Mozart-Zitat „Ich habe die Arie der Konstanze ein wenig der geläufigen Gurgel der Mme Cavallieri aufgeopfert“, stieg Patricia Gropp in das Thema „maßgeschneiderte Arien“ ein. Sie hatte musikalische Beispiele ausgewählt und widmete dabei den Kastraten („die verstümmelten Engel“) ein Extra-Kapitel.
Ihre Veranstaltung bei der Aka war nicht nur spannend und lehrreich, sondern auch ein Hör-Genuss: Der Aka-Vortragsraum war erfüllt von den Stimmen der weltbesten Künstlerinnen und Künstler, die sich heutzutage an die anspruchsvollen Barockarien wagen. Eine von ihnen ist die phantastische Cecilia Bartoli, die ihrer Kehle unglaublich hohe Töne entlockt.
Bei ihrem Streifzug durch die Geschichte der Arien widmete sich Patricia Gropp besonders den Werken Händels (1685 - 1759), Mozarts (1756 – 1791), Rossinis (1792 – 1868) und Lehars (1870 -1948).
Die Auftrittsarie eines Stars war von besonderer Bedeutung. Damit sollten und wollten die Sängerinnen und Sänger brillieren und ihr Publikum von Beginn an in ihren Bann ziehen.
Allerdings gefiel die Antrittsarie, die Händel der Sopranistin Francesca Cuzzoni zugedacht hatte, der Italienerin ganz und gar nicht, sie war ihr nämlich zu einfach. Händel soll gedroht haben, er werde die Diva aus dem Fenster werfen, wenn sie nicht aufträte. Doch ausgerechnet diese Arie „Falsa Immagine“ (aus der Oper Ottone) wurde Cuzzonis Hit, und sie musste sie sogar viermal wiederholen.
Alle damaligen Komponisten haben auch mit und für Kastraten gearbeitet. Das sind Männer, denen in früher Jugend die Hoden entfernt worden waren, damit sie nicht in den Stimmbruch gerieten und ihre glockenklaren Knabenstimmen behielten. Kastraten übernahmen die hohen weiblichen Tonlagen, weil den Frauen aufgrund einer kirchlichen Verfügung der Bühnenauftritt lange Zeit verboten war. Dem berühmtesten Kastraten Farinelli (1705 – 1782) waren 47 Opern auf den Leib geschrieben worden. Er trat in Italien, Österreich, England, Frankreich und in Madrid am Hofe des Königs Philipp der Fünfte auf. Das zweiunddreißigjährige Stimmwunder aus Italien durfte schließlich nur noch für den depressiven spanischen König singen.
An Rossinis Arien, die er für seine erste Frau Isabella Colbran schrieb, können Musikexperten nachvollziehen, in welchem Maße sich im Lauf der Zeit ihre Stimme verschlechtert hat. Ihr Mann passte die späteren Musikstücke ihren schwindenden Fähigkeiten an.
Ein Win-Win-Geschäft war die Zusammenarbeit von Komponist Franz Lehar und Tenor Richard Tauber (1891 – 1948). Exklusiv für seinen österreichischen Sängerfreund schrieb Lehar „Tauberlieder“, die in sechs Lehar-Operetten stets in der Mitte des zweiten Aktes erklangen. Sie wurden zu Taubers musikalischer Visitenkarte, und er musste sie mehrfach singen.
Für den österreichischen Satiriker und Schriftsteller Karl Kraus allerdings war der „Mann mit dem Monokel“ und „König des Belcanto“ nur ein „Schmalztenor“. Ob er heute mit seinem stimmlichen Schmelz noch so viel Erfolg wie in den zwanziger Jahren haben würde? Der Musikgeschmack unserer Großmütter und Urgroßmütter hat sich seitdem ja enorm gewandelt...
Petra Neumann-Prystaj