Zurück in die Siebziger: Fassbinders Melodram „Angst essen Seele auf“
Aka-Kursleiter Rolf Wollner, Jahrgang 1954, hat ein Faible für die sechziger und siebziger Jahre. Um an die Zeiten von Flower-Power und dynamischer Kino-Kultur zu erinnern, wählt er zur Nachbetrachtung gern Filme aus, die einst Kassenschlager waren: „Easy Rider“ etwa oder „Woodstock“. Dem Zuschauenden stellt sich bei der Retrospektive immer die gleiche Frage: Wie wirken diese Blockbuster von damals heute auf uns? Haben sie ihre Strahlkraft behalten oder waren sie nur ein künstlerischer Ausdruck ihrer Zeit und sind somit veraltet?
Diesmal hatte Wollner sich mit Leben und Werk des „menschlichen Kotzbrockens“, aber genialen Filmemachers Rainer Werner Fassbinder (1945 – 1982) beschäftigt, der über 40 Spielfilme, 24 Theaterstücke, zwei Fernsehserien und drei Hörspiele produzierte. Zu Fassbinders besten Filmen zählt das Melodram „Angst essen Seele auf“ (1974), in dem es um die Ausbeutbarkeit der Gefühle geht. Erzählt wird in langen, ruhigen Sequenzen von der Liebe einer etwa 60 Jahre alten Putzfrau zu einem deutlich jüngeren, attraktiven, aber einsamen Gastarbeiter aus Marokko. Beide werden nach ihrer überstürzten Eheschließung von der Gesellschaft ausgegrenzt, was ihre Bindung zunächst verstärkt. Sie lockert sich erst, als das soziale Umfeld scheinbar alle Vorurteile aufgibt. Auf Überraschung und Irritation folgt also (wie in einem Lehrstück) die allgemeine Akzeptanz der Situation. Doch was macht das mit den Liebenden? Als oberflächlich alles gut läuft, ist es die Putzfrau Emmi, gespielt von Brigitte Mira, die ihren Arbeitskolleginnen ihren ansehnlichen Gatten wie eine Trophäe vorführt und ihn damit demütigt und entwürdigt. Er lässt sich das nicht gefallen, rächt sich auf seine Weise. Unter tragischen Umständen kommen die beiden wieder zusammen, weil sie verstanden haben: „Das Glück ist nicht immer lustig“.
Im Rückblick überzeugt der Film auch heute noch, weil er die Gefühlswelt und Handlungsweise der beiden Protagonisten berührend und nachvollziehbar übermittelt. Das Publikum im Aka-Vortragsraum war angetan und lobte den ruhigen Erzählfluss, der sich wohltuend vom heute üblichen hektischen Tempo bei Szenenwechseln abhebt.
Fassbinder selbst hat über sein Melodram geschrieben: „Das ist ein Film über die Liebe, die eigentlich unmöglich ist, aber eben doch eine Möglichkeit. Ich finde, dass alle Dinge, die mit Vorurteilen behaftet sind, interessant sind. Man kann nachsehen, ob es wirklich notwendig ist, dass ein Vorurteil besteht. Und man kann an dem Film erkennen, was man für Vorurteile hat.“
Petra Neumann-Prystaj